Home
Gedichte: Von mir
Gedichte: Von Euch
Gedichte: Klassisch
Gedichte: Internat.
Asatru-Liederbuch
Musik & CDs
Asatru & Tanz
Geschichten
Stabreim
Lieder-Edda Online
Snorra-Edda Online
Links zur Dichtkunst
Tips zum Schreiben
Über "Skaldenmet"
Gedicht einsenden
Email
Gästebuch
Das Neueste

~ Altnordische & Klassische Gedichte & Volkslieder~

Dreizehnlinden

V. Am Opfersteine

Lieblich sind die Juninächte,
Wenn des Abendrots Verglimmen
Und des Morgens frühe Lichter
Dämmernd ineinanderschwimmen;

Wenn der Lenz in roten Rosen
Rasch verblutet und die kleinen
Nachtigallen um den Toten
Ihre letzten Lieder weinen;

Wenn im Kelch der Lindenblüte
Unterm Blätterbaldachine
Schläft, gewiegt von lauen Lüften,
Die verirrte müde Biene.

Träumerisch im Nest der Schwalbe
Zirpt die Brut und zwitschert leise
Von dem großen blauen Himmel
Und der großen Südlandsreise.

Und im Weizen schlägt die Wachtel,
Jedem Pflüger liebe Laute,
Liebe Laute all den Körnern,
Die er fromm der Flur vertraute.

Durch die frisch entsproßnen Ähren
Haucht ein Säuseln und ein Singen,
Als ob holde Himmelsgeister
Segnend durch die Saaten gingen. –

Rings der Wälder tiefes Schweigen!
Aus des Tales Nebelhülle
Hob die Iburg ihren Scheitel
In die sternenklare Stille:

Alter Hain, aus dessen Wipfeln
Sonst die Irminsäule ragte,
Die zum Schmerz und Schreck der Sachsen
König Karl zu brennen wagte;

Götterstätte, jetzt umwuchert
Von Gestrüpp und wilden Ranken
Und als Wohnort dunkler Mächte
Scheu gemieden von den Franken. –

Lieblich war die Nacht, die kurze,
Vor dem Tag der Sonnenwende;
Auf der Iburg stumpfem Kegel
Flackerten die Opferbrände;

Auf der Iburg stumpfem Kegel
Hatten sich zum Balderfeste
Fromm geschart die Heidenleute,
Gaugenossen, fremde Gäste.

Unter Eichen auf dem Rasen
Stand der Opferstein, der graue,
Neben ihm mit blut'gem Messer
Eine riesenhafte Fraue:

Swanahild, die greise Drude,
Ihres Priesteramts zu walten,
Erzgegürtet; weißes Linnen
Floß um sie in reichen Falten.

Werinhard, der freie Bauer,
Nahm den Stahl aus ihren Händen;
Fulko, Schmied von Bodinkthorpe,
Wühlte schürend in den Bränden.

Und im breiten Kupferkessel
Auf des Herdes glühen Kohlen
Brodelte mit Lauch und Mistel
Das geweihte Opferfohlen:

Freies Tier des freien Waldes,
Das den Hals vor Pflug und Wagen
Nie gebeugt und dessen Rücken
Einen Reiter nie getragen.

Elmar, Herr vom Habichtshofe,
Blickte träumend in die Gluten;
Sah er, wie das Opferfüllen,
Auch das Sachsenroß verbluten? –

Ehrfurchtsvoll und stumm im Kreise
Stand die Menge, nur ein Flüstern,
Nur ein Schauern in den Bäumen
Und der Flamme Sprühn und Knistern.

Godo kam, der Opferdiener,
Bester Fischer an der Nethe,
Zubenannt der krause Otter,
Weil sein Haar sich lockig drehte.

»Alles sicher«, sprach er leise,
»Ausgestellt sind rings die Wächter;
Stören wird die fromme Feier
Kein Verräter, kein Verächter.«

Dreimal dann mit nackten Füßen
Schritt die Priesterfrau, die hohe,
Um den Herd, und Segen sprechend
Warf sie Körner in die Lohe.

Und mit Donars Hammerzeichen
Spendend Kraft und Heil dem Sude,
Das Gesicht zum Nord gewendet,
Traurig ernst begann die Drude:

»Naht in Ehrfurcht, naht in Andacht,
Und was unhold, bleibe ferne;
Unsre Zeugen sind die Götter,
Stummer Wald und stille Sterne.

Fern sei jeder Ungezwagte;
Wollt ihr opfern, wollt ihr beten,
Reiner Hand und reinen Herzens
Sollt ihr vor die Ew'gen treten. –

Balders Sterbetag zu feiern,
Sind wir an den Stein gekommen,
Ihm, dem Frömmsten, nachzutrauern,
Wohl geziemt es allen Frommen.

Seit ihn schlug sein blinder Bruder,
Ist des Tages Glanz verblichen,
Götterfriede, Menschenfriede
Aus der dunklen Weit gewichen.

Ahnt ihr, was der große Vater
Seinem vielbeweinten Toten,
Seinem Sohn, ins Ohr geflüstert,
Als die Scheiter ihn umlohten?

O es waren hohe Worte,
Hoffnungsreiche holde Laute,
Lichte Auferstehungsworte,
Die er tröstend ihm vertraute:

Seiner Wiederkehr Geheimnis
Aus dem Reich der Nimmersatten,
Wo in nebeldüstern Schluchten
Traurig gehn die bleichen Schatten.

Wann? Der Wala selbst verborgen
Blieb der große Tag der Sühne;
Zeit und Stunde kennt nur einer,
Er, der alte Himmelshüne.

Er nur weiß es, wann im Kampfe
Untergehn die hohen Götter,
Wann im Sturm vom Zeitenbaume
Wehn die herbstlich gelben Blätter;

Wann auf feuerfarbnen Rossen
Muspels Söhne nordwärts rennen,
Um mit ungeheurer Lohe
Erd' und Himmel zu verbrennen;

Um uralte Schuld zu rächen,
Daß im Frühlingsmorgenhauche
Jung und grün aus Wasserwogen
Eine neue Erde tauche,

Rings bewohnt von stillen Menschen,
Die mit Morgentau sich nähren:
Dann, so spricht die weise Wala,
Dann wird Balder wiederkehren;

Und der Niemalsausgesprochne,
Er, der Älteste der Alten,
Wird für immer aller Dinge,
Aller Menschen liebend walten. –

Kam die Zeit, und ist der Weiße,
Den die Christen laut bekennen,
Den Allvaters Eingebornen
Und das Friedenskind sie nennen,

Ist er Balder? – O er brachte
Kampf und Krieg der Männererde!
Ist er Balder? – O er machte
Friedlos uns am eignen Herde!

Was wir sehn, ist Haß und Hader!
Vor den Fremden, unsern Schergen,
Muß sich selbst Gebet und Opfer
Scheu in tiefer Nacht verbergen.

Dennoch, mag die sonnenlose
Dunkle Zeit sich dunkler trüben,
Treu der Lehre, treu der Sitte
Laßt den Vaterbrauch uns üben.

Ihr mit Kranz und Binsenkörben,
Tretet in den Ring, ihr Kleinen;
Singt den Reim, wiewohl ihr heute
Klüger tätet, still zu weinen.

Dennoch singt; den jungen Nacken
Schmerzt noch nicht das Joch der Franken;
Singt, und mag es traurig lauten
Wie das Singen eines Kranken.« –

Und die Knaben und die Mädchen
Huben an mit leiser Stimme:
»Schirm uns, Balder, weißer Balder,
Vor des Christengottes Grimme!

Komm zurück, du säumst so lange;
Sieh, wie Erd' und Himmel klagen!
Komm zurück mit deinem Frieden
Auf dem goldnen Sonnenwagen.

Weißer Balder, weiße Blumen,
Wie an Bach und Rain sie sprießen,
Weiß wie deine lichten Brauen,
Legen wir dir gern zu Füßen.

Sieh, wir geben, was wir haben:
Arm sind unsre Fruchtgefilde;
Laß Geringes dir genügen,
Weißer Balder, Gott der Milde;

Gott der Liebe, weißer Balder,
Neige hold dich unsern Grüßen.
Blumen, rein wie unsre Herzen,
Legen wir dir gern zu Füßen.«

Und den Opferstein umwandelnd
Warfen sie die heil'gen Kräuter,
Lichte Glocken, lichte Flocken,
Lichte Sterne auf die Scheiter.

Dann mit leisen Wispelworten
Nahm die Priesterin die Schale:
»Trinkt des weißen Gottes Minne,
Eh ihr hebt die Hand zum Mahle!«

Durch die Runde ging ein Raunen
Und gedämpftes Becherklirren,
Wie in herbstlich dürrem Rohre
Abendlüfte heimlich schwirren.

Und der krause Opferdiener,
Aus des Kessels weitem Bauche
Gab er jedem von dem Fleische,
Von der Mistel, von dem Lauche. –

O es war kein Mahl der Freude! –
Stets des Überfalls gewärtig
Saß die Schar der Ungetauften,
Stets zum Fliehn, zum Trotzen fertig,

Wölfen gleich, die tief im Walde
Hastig einen Raub verzehren
Und in jedem Blätterrauschen
Hund und Jäger kommen hören. –

Sprach die Drude: »Dankt den Göttern,
Löscht die Glut und nehmt die Brände:
Dunkles brütet zwischen heute
Und der nächsten Sonnenwende;

Denn nicht alle kommen wieder,
Und nicht jedem ist zu trauen.
Fort! Die Sterne schimmern blasser,
Und der Tag beginnt zu grauen.« –

In die Gründe glitt die Menge,
Wie verstoßen, wie versunken;
Frische Morgenwinde spielten
Mit der Asche, mit den Funken.

Von der Sonne ersten Strahlen
Glühten rot die fernen Gipfel,
Und der Schrei der wilden Katze
Klang im höchsten Eichenwipfel.

Friedrich Wilhelm Weber (1813 - 1894)


Home ] Nach oben ]