~ Altnordische & Klassische Gedichte
& Volkslieder~
Der Skalde Egil Skallagrímsson hatte den einen Sohn durch Fieber und jetzt einen
durch Schiffbruch verloren. Darauf hin machte er folgendes Gedicht:
Klage um die Söhne
(Versform: Fornyrdhislag)
Zu schwer
fällt´s mir
Die Zunge zu rühren
Mit des Liedes
Lustiger Waage.
Schlimme Aussicht
Für Odins Sangmet:
Laß ihn frei,
Verließ der Seele!
Walvater raubt´ einst
Wonnigen Trank
Jubelnden Lieds
Aus Jötunheim.
Des Gedankens Burg
Birgt ihn bei mir:
Kummer quält mich –
Sonst quöll er hervor.
Fehlerfrei
Fügt ich Lieder.
Bragi schweigt
Bei Bödvards Tod!
Brankdet, Wogen,
Ymirs Blut,
An den Grabhügel
Gríms, meines Ahns!
Denn dahin
Stirbt mein Haus
Wie das Geäst
Im ächzenden Sturm!
Nicht lacht der Mann,
Der den Leichnam trägt
Des Sippen voll Gram
Die Gruft hinab!
Mächtig drängt´s
Mich der Mutter Tod
Und des Vaters
Fall zu klagen.
Den Lippen entringt sich
Des Loblieds Stoff,
Geziert mit der Sprache
Sprießendem Laub.
Grimm ist die Lücke,
Die grollend das Meer
Riß in der Sippe
Reihen so dicht.
Offen bleibt,
Unausgefüllt
Des Sohnes Platz:
Die See ihn schlang!
Ran hat mich Armen
Rauh gepackt!
Arm bin ich
An alten Freunden!
Das Meer zerriß,
Was mich verband
Mit festem Faden
Ans Vaterhaus.
Könnte mein Schwert
Schlichten die Sache:
Der Brauer der Wogen
Brauste nicht mehr!
Wäre des Sturms
Freund zu bestehen,
Stritt ich mit Ägirs
Ekeler Braut.
Die Kraft versagen
Im Kampf doch würde
Gegen den Mörder
Meines Sohns.
Allem Volk
Vor Augen tritt
Die Ohnmacht ja
Des alten Manns.
Die tückische Flut
Vieles mir nahm:
Des Geschlechtes Fall
Schlimm ist zu künden,
Seit sein Schirm
Schied aus dem Leben,
Ein zu Walhalls
Wonnen ging!
Ich weiß es selbst:
In meinem Sohne
Nimmer gewahrt ich
Niederen Sinn,
Wäre der Schildbaum
So schön gereift doch,
Bis ihm Odin
Ehren gewährt.
Des Vaters Wort
Gefiel ihm zumeist,
Sprach auch dagegen
Das ganze Volk.
Dem Alten half er
Im Hause immer,
Stets seiner Kraft
Stütze daheim!
Oft im Grunde
Meines Geistes
Brütet ich:
Bin brüderlos!
Traurig denk ichs,
Tobt der Kampf rings,
Spähe nach Freunden
Und spreche zu mir:
"Wer wohl stünde
Wehrhaften Sinns
Noch dem alten
Egil bei?"
Oft bedarf ich´s,
Da alle schwanden:
"Vorsichtig fliegt,
Dem die Freunde fehlen!"
Zu finden ist schwer
Im ganzen Volk
Ein Freund ja, dem
Man voll vertraut.
Nicht selten sah ich
Sippenmörder,
Die Rache verkauft
Für rote Ringe.
Man sagte mir,
Ersatz bekäm ich
Für diesen Sohn nur,
Zeugte selbst ich andre.
Auch fänd ich nie
So nahen Mann,
Daß Bruderlieb´
Er brächte mir!
Des Menschen Kreis
Meid ich gerne,
Säh ich auch jeden
Versöhnlich hier!
Ins Luftreich stieg
Meines lieben Weibes
Sohn, die alten
Ahnen zu seh´n!
Der die Asen
Mit Ale bewirtet,
Ägir bleibt mir
Ewiger Feind.
Wußt er nicht
In seinem Wahn,
Daß meines Verstands
Steuer er knickte?
Den früheren Sohn
Schon Fieberhitze
Grimmig entriß
Dem greisen Mann:
Den fehlerlosen,
Nach dem nie frugen
Nachreden, üble,
Und neidiger Haß.
Gern denk ich dran,
Wie ins Götter-Reich
Des Menschen Freund
Frisch mir erhob
Des Geschlechtes Esche,
Die ich gepflanzt,
Und meines Weibes
Wonnefrucht!
Ich stand mich gut
Mit der Gere Fürsten,
Und ich vertraute
In Treue ihm,
Bis der Freund
Des frohen Sieges
Mich trog und mir
Die Treue brach!
Nicht weihe Verehrung
Vilis Bruder
Ich aus Lust:
Denn lieblos war er.
Doch gab Mims Freund
Guten Ersatz
Für böses Leid:
Die Buße schätz ich!
Des Wolfes Feind,
Gewohnt der Kämpfe,
Gab mir eine Kunst –
Keine ist besser –
Und einen Sinn,
Der sicher schafft
Aus Ränkeschmieden
Rührigsten Freund!
Schlecht ist mir zu Mut:
Die Schwester steht
Von Walvaters Feind
Am Vorgebirge.
Doch will gern
Gutwillig warten
Ich auf Hel
Mit heitrem Sinn.
Egil Skallagrímsson (* um 900, † um 985)
Übersetzung: Felix Niedner, Gustav Neckel: "Die Geschichte vom Skalden Egil",
Jena 1921
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