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~ Altnordische & Klassische Gedichte & Volkslieder~

Dreizehnlinden

III. Auf dem Habichtshofe

1.
Elmar, Herr vom Habichtshofe,
Sprach zu seinem Jagdgesinde:
»Gute Meute, gute Beute;
Hängt den Bären an die Linde!

Achtet auf das Weidgeräte
Und besorgt die müden Hunde,
Dann euch selbst; mich will bedünken,
Daß euch wohl der Imbiß munde.

Drauf zerwirkt den braunen Riesen,
Aber mit geschickten Händen
Schont den Pelz; nach Bodinkthorpe
Will ich ihn zum Grafen senden,

Dem der ungeschlachte Brummer
Jüngst die Heimkehr abgeschnitten,
Als der Alte mit der Tochter
Spät vom Eschenberg geritten.

Heute fand er seinen Meister!
Stolzer Bursch, er schlug sich wacker,
Bis ihm an der Gurgel hingen
Greif und Kneif, die grimmen Packer.

Traun, ich hätt' ihn, laufen lassen,
Ihn, den Herrn von Wald und Heide,
Doch dem Wegelagrer stieß ich
Rasch ins Herz die blanke Schneide.

Mocht' er sich mit Männern zerren,
Mocht' er sich mit Hunden necken:
Allzu bärenhafte Laune
War's, ein Mägdlein zu erschrecken.«

Elmar grüßte mit der Lanze
Und, gefolgt von Weidmannsrufen,
Sprang er aus dem Kreis der Jäger
Schnell hinan des Saales Stufen.

Höher hob sich heut des Jünglings
Breite Brust vom frischen Gange,
Heller war sein blaues Auge,
Voller die gebräunte Wange.

Schüttelnd die betauten Locken,
Schritt er durch die große Halle,
Fast erschreckt vom düstern Schweigen
Und des Tritts verlornem Schalle.

Wo sich einst die schildgewiegte
Falkenbrut des Spiels erfreute,
Stand am kalten Herd des Hauses
Letzter Sproß vereinsamt heute.

Um ihn her an hohen Wänden
Wisenthörner, Hirschgeweihe,
Bärenschädel, Schwert und Lanze,
Helm und Brünne, Reih' an Reihe.

Eichne Säulen, eichne Sparren,
Eichner Boden, eichnes Schauer:
All ein Wald, doch still und öde,
All ein Wald in Wintertrauer.

2.
Wo die Brucht durch Schilf und Erlen
Rieselt und zum Drosselsange
Dunkle Runenlaute murmelt,
Lag der Hof am Hügelhange

Unter Linden, unter Ulmen
Und des Strohdachs warmen Schwingen,
Die, mit Lauch und Moos bewachsen,
Breit und schirmend niederhingen,

Bau an Bau. Von bunten Giebeln
Nickten nach dem Brauch der Alten
Holzgeschnitzte Pferdeköpfe,
Wicht und Kobold fernzuhalten.

Weit erstreckten sich des Hauses
Kämpe, Wälder, Ackerbreiten;
Bergesfirst und rinnend Wasser
Schied die Mark seit Väterzeiten. –

Als der Wandersturm vom Osten
Über Deutschlands Felder brauste,
Volk auf Volk wie Meeresfluten
Zornig durcheinanderzauste;

Als die harten Bernsteinfischer
Welschlands dunkle Trauben pflückten,
Und des Spessarts rauhe Jäger
Sich mit Römerringen schmückten:

Unentwegt auf freier Hufe,
Grundentsprossen, grundverwachsen,
Wurzelfest wie seine Eichen
Saß der edle Stamm der Sachsen.

Stetig bauten sie die Scholle,
Hüteten auf brauner Heide
Sorgsam Bien' und Schaf und zogen
Rind und Roß auf Trift und Weide;

Übten, wie die Väter taten,
Sprung und Wurf und Lanzenbrechen
Oder griffen rasch zum Eisen,
Freveltat und Schimpf zu rächen;

Brauten Met und zechten tapfer,
Trotzten auf der Jagd den Wettern,
Und am heil'gen Opferkessel
Dienten sie den alten Göttern.

Stetig auf dem Habichtshofe
Unter ihres Saales Balken,
An derselben Feuerstätte
Hausten, Sohn auf Sohn, die Falken,

Ehrenreich und unverworren,
Bis am Rhein der Brand erglühte,
Der, gewalzt von Berg zu Bergen,
Durch die Sachsendörfer sprühte.

Krieg mit Karl! Die Mütter klagten;
Krieg! Es freuten sich die Aare;
Krieg den Göttern, Krieg den Menschen,
Krieg durch dreißig lange Jahre!

Alfrik, Elmars Vater, brachte
Wunden heim und bittre Schmerzen,
Heiße Wunden, tiefe Wunden,
Doch die tiefste saß im Herzen.

Machtlos, rechtlos war der Sachse;
Dreist, wie auf die milden Flanken
Eines speerdurchbohrten Ebers,
Trat auf ihn der Fuß des Franken.

Irmintrud, die Gattin, mischte,
Kundig all der holden Kräfte,
Die in Frucht und Blüte schlafen,
Sanftes Öl und milde Säfte;

Swanahild, die greise Drude,
Ritzte Runen, Zauberzeichen,
Warf die Stäb' und raunte Sprüche,
Gram und Siechtum zu verscheuchen.

Lindern mögen Wurz und Worte
Wundenweh und Herzbeschwerde:
Bester Arzt für jeden Jammer
Ist die stille kühle Erde. –

Auf den Sohn, den frühverwaisten,
Sah die Mutter oft mit Zähren:
»Kind, wer wird in Ernst und Liebe
Dich belehren und dir wehren?«

Tief ins junge Leben grub sie
Tiefen Abscheu vor dem Neuen,
Mocht' ihr Bruder an der Pader
Mit dem Bischofsstab auch dräuen,

Badurad, der eifervolle,
Den es schmerzte und empörte,
Daß sein eignes Blut dem Kreuze
Starren Sinns den Rücken kehrte.

Und im Wald die greise Drude
Pries den Heldenruhm der Ahnen;
Götter fürchten, Franken hassen,
War ihr unablässig Mahnen. –

Knabenzucht will harte Hände.
Bald entsandten sie zum fernen
Bruderstamm den Vaterlosen,
Maß und Männerbrauch zu lernen.

Gastverwandt dem Haus der Falken,
Welterfahren, weitgepriesen
War der graue Wodanspriester
Thiatgrim im Land der Friesen.

All der ernsten Nordlandsdenker
Weisheitsfülle war ihm eigen;
Beides wußt' er: klug zu reden,
Und, was klüger, klug zu schweigen.

Elmar staunte, wenn der Alte
Ihn die Runenrätsel lehrte,
Wenn er ihm gedankenreicher
Sprüche tiefen Sinn erklärte:

Donars Kämpfe mit den Thursen,
Walas düstre Prophezeiung,
Balders Tod, die Götterdämmrung,
Weltvernichtung, Welterneuung;

Oder wenn er ihm entrollte
Meerumrauschte Gudrunsagen,
Siegfrieds Tod, Kriemhildens Rache
Und den Zorn des grimmen Hagen.

Eins nur war Beginn und Ende:
»Sonder Wanken, sonder Schwanken
Fluch und Haß dem welschen Feinde,
Fluch und Haß dem Gott der Franken!« –

Jahre flohn; der blonde Knabe
War zum Jüngling aufgeschossen,
Stark und stattlich, still, doch glühend,
Offnes Auges, doch verschlossen.

Träumend blickt' er oft vom Strande
In des Meeres graue Wogen,
Träumend nach den Kranichschwärmen,
Die im Herbst gen Mittag zogen.

Dacht' er an das Los der teuern
Unterjochten Heimaterde?
An die Mutter, wie sie einsam
Trauernd saß am öden Herde?

An ein kleines Frankenmädchen,
Das gerettet einst der Knabe
Mit Gefahr des eignen Lebens
Aus des Weihers feuchtem Grabe?

Das mit Lachen und mit Weinen
Auf den Wangen Blässe, Röte,
Küssend ihn umschlang und leise
»Elmar, sag es keinem!« flehte?

Zwar die Lippe war versiegelt
Und gebannt von süßem Munde,
Doch im Herzen, tief im Herzen
Rief es immer: Hildegunde! –

Thiatgrim, der Graubart, murrte:
»Ist der Falk des Käfigs müde?
Will ihm länger nicht behagen
Meines Hauses träger Friede?

Dort zum Normann mag er fliegen:
Thorkell rüstet Krieg den Franken,
Und sein Flügeldrache badet
In der Bucht die finstern Flanken.«

Wikingsfahrt zum Frankenlande?
Rachekampf? Wie Elmar lauschte,
Wie er schnell das Lodenkoller
Mit dem Kettenhemd vertauschte! –

Lustig war's, in Sturmesbrausen
Auf dem Wellenroß zu reiten
Sommerlang, und Wund' um Wunde
Mit dem Landesfeind zu streiten.

Wonnig war's, im Föhrensaale
Winters mit den Bankgenossen
Kämpenweisen still zu horchen,
Die vom Mund des Sängers flossen.

Stumm bei Frauen war der Sachse,
Kühn in Not und Männerfehde,
Klug im Rat, am Tisch bescheiden
Mit dem Trinkhorn, mit der Rede.

Manches schöne Nordlandsmädchen
Sah ihm nach mit holden Blicken,
Schritt er, hoch den Kopf, vorüber,
Ohne nur zum Gruß zu nicken.

Thoralil, des Wikings Schwester,
Stickte Laub und Blumenranken
Ins Geweb' und mit den Blumen,
Mit den Blättern viel Gedanken.

Kleine Thora, laß das Träumen,
Falkenart hat schnelle Flügel;
Glaubst du ihn an sichrer Kette,
Schweift er über Tal und Hügel.

Hastig über Tal und Hügel
Flog er heim, ihn rief der Bote
Hastig zu der kranken Mutter;
Was er fand, war eine Tote.

3.
Windeswehn und Regenschauer,
Fahl und kalt die Morgenfrühe!
Über Waldeswipfel eilten
Hollas graue Wolkenkühe.

Auf dem Habichtshof die Ulmen
Schüttelten die nassen Äste,
Und das Scheunendach umkrächzten
Nebelkräh'n, unholde Gäste.

Elmar, in der Hand die Stirne,
Sah hinaus ins Wetterwogen;
Trüb die Welt wie die Gedanken,
Die durch seine Seele zogen!

Auf dem Hof Gebell und Rufen;
Diethelm kam, der Hausverwalter:
»Harrt die Meute? Tolles Treiben!
Geh, ich will nicht jagen, Alter!

Müde bin ich all des Jammers!
Kläglich ist es, Krieg zu führen
Mit dem Biber, mit dem Reiher,
Mit des Wildbanns armen Tieren.

Schon zuviel des Streits! Im Hader
Bin ich mit dem fremden Gotte,
Mit den Fremden und am meisten
Mit mir selbst, mir selbst zum Spotte.

Winnemar, mein großer Ahne,
Schlug den Wurm mit hartem Schwerte,
Der im Stein des Eschenberges
Haust' und rings das Land verheerte.

Heißer war des Vaters Kämpfen
Mit dem welschen Ungeheuer,
Das uns schnürt mit erznen Ringen,
Das uns stickt mit Dampf und Feuer.

Und der Sohn? Er hockt am Herde
Und, im Schoß die schlaffen Hände,
Stiert er ratlos in die Wolken,
Stiert er tatlos in die Brände.

Soll er Schalkenarbeit üben?
Soll er mit den Mägden spinnen?
Soll er reuten mit den Knechten,
Brot und Zehnten zu gewinnen?

Soll er, wie der Stier am Wagen,
Sich dem Frankenjoch bequemen?
Soll er vor dem Kreuz sich bücken
Und das Christenwasser nehmen?

Soll er Mark und Gau durchfliegen,
Um den alten Haß zu schüren
Und die schnell empörten Stämme
Schnell zum Rachekrieg zu führen?

Soll er nach der Pfalz zu Aachen
Für sein Volk zum Zweikampf reiten
Und auf Leben und auf Sterben
Mit dem frommen König streiten?

Leere Nacht, wohin ich schaue!
Hand und Fuß umwob die Norne
Mit des Schicksals dunklen Fäden,
Die sie spann in ihrem Zorne.

Fliehen möcht' ich zu des weiten
Wendelmeers entlegnem Strande,
Das der Menschenwelt Getümmel
Trennt vom stillen Geisterlande.

Wodan nur, der Rätsellöser,
Kann das rechte Wort mir sagen,
Doch er schweigt; die Götter alle
Schweigen – und ich muß verzagen.« –

Diethelm sprach: »Durch deine Adern
Braust das Blut gleich wilden Bächen,
Die, geschwellt von Wettergüssen,
Uferdamm und Wehr durchbrechen.

Elmar, Stärke ziemt dem Starken,
Mut dem Mann; die Götter walten:
Lassen sie das Neue werden,
Traun, so sind sie gram dem Alten,

Seit du fern auf fremden Meeren,
Brannte manche Glut zu Kohlen:
Zahmer unterm Frankensattel
Geht das weiße Sachsenfohlen.

Brach der Sturm dir First und Wände,
Magst dem Zauberweib du fluchen;
Weiser ist's, bei Nachbarleuten
Als beim Wolf Herberge suchen.

Und ihr Gott? Der alte Wodan,
Sagt man doch, sei vielgestaltig,
Stets er selbst, trotz Kleid und Namen,
Stets sich gleich und hochgewaltig.

Elmar, du bist krank, ich weiß es,
Schmerzlich krank an schlimmer Stelle;
Schweigst du auch, ich kenne lange
Deines Wehs geheime Quelle.

Freia helfe! Raten möchte
Wohl die Drud' im blauen Tale.« –
Eine Trän' im greisen Barte
Ging der Alte aus dem Saale.

4.
»Gruß vom Norden!« rief der Sänger,
Als er saß in Elmars Halle;
»Sieg und Segen Wünschen Thorkell
Und die Schwertgenossen alle.

Auch von Thoralil, der braunen,
Künd' ich dir vielholde Märe,
Doch zuerst, daß Ragnar Lodbrok
Fuhr zu Wodans altem Heere;

Nicht mit ehrlich breiter Wunde,
Nicht von rosenroter Heide,
Nein, zernagt, aus finstrer Grube,
Grauser Tiere grause Weide. –

König Ellas Trotz zu brechen
Und den Schoß sich zu erzwingen,
Ließ der alte Leireherrscher
Laut im Land den Heerschild klingen.

Lachend sprach er: ›Statt der Brünnen
Mögt ihr Leinwandwämser tragen;
Krieg mit Bretlands weichen Männern
Ist ein muntres Schnepfenjagen!‹ –

Lustig schoß ins Meer die Flotte
Wie ein Zug von wilden Schwänen,
Doch die finstern Wellenweiber
Sangen zum Verderb der Dänen.

Brechend Kiel und Mast durchtobte
Sturm die weiße Wasserwüste;
Nur mit einem Schiff erreichte
Ragnar Bretlands Kreideküste.

Müde Kämpen! Ella nahte;
Schilde krachten, Schwerter klangen:
Sterbend fielen die Normannen,
Und ihr König ward gefangen.

Ella höhnte: ›Niemals, rühmst du,
Konnte Furcht dein Herz erfassen?
Alter Drost, du lernst noch heute,
Stolzer Prahler, das Erblassen!

Schnepfenjagen? Was zu wünschen
Sich dein frevler Spott erfrechte,
Sollst du haben: greift ihn, werft ihn
In den Schlangenturm, ihr Knechte!‹ –

Gräßlich war's! Der Held von Leire
Sprach: ›Du siehst mich nicht erbleichen;
Wie ich lebte, will ich sterben:
Laß mir meine Harfe reichen!‹

Mutig trat er in den Zwinger,
Und mit weitgesperrtem Rachen
Auf den Greis, den waffenlosen,
Stürzten die gefleckten Drachen.

Doppelt wild von langem Hunger,
Zornig sträubend Kamm und Mähne,
Hackten sie ins Fleisch des Mannes
Biß auf Biß die scharfen Zähne.

Ganz zerrissen von den Würmern,
Ganz zerfetzt, umschnürt, umschlungen,
Hat er unter Todesqualen
Selbst sein Sterbelied gesungen.

Welch ein Lied! Solang im Sunde
Rote Wikingswimpel fliegen,
Ist kein Schrei so stolz und trotzig
Einer Männerbrust entstiegen.

Weit erklingt er durch den Norden
Und erfüllt, wie Wetterbrausen
Tief durchwühlt die Meeresfluten,
Jedes Herz mit Grimm und Grausen.

Ragnars Sohn, der tapfre Sigurd,
Sitzt nun auf dem Stuhl zu Leire,
Rächen will er mit den Brüdern
Ellas Tat, die ungeheure.

Rächen will das Volk den Greuel,
Eisen klirrt auf allen Wegen;
Thorkell rüstet, doch entbehren
Mag er nicht den besten Degen.

Dich zu rufen, kühner Sachse,
Zog ich über Moor und Heide;
Greif zum Schwert, dir blüht im Norden
Siegesruhm und Schlachtenfreude!«

Elmar drauf: «Ihr hohen Götter,
Darf ich euern Wink verstehen?
Ja, gen Norden führt der Helweg,
Und gen Norden soll ich gehen!«

Diethelm murrte: »Düstre Träume!
Ist des Leirekönigs Rache
Deine eigne, deines Hauses,
Deines Volks gerechte Sache?«

»Meines Volks? Sind dürre Äste,
Wie sie auf dem Herd dort brennen,
Welkes Laub, des Sturmes Spielzeug,
Noch ein grüner Wald zu nennen?

Meines Volks? Die Riesen starben;
Ein Geschlecht von feigen Zwergen
Springt vergnügt am Gängelbande
Seiner Büttel, fremder Schergen,

Menschenbrut! Der kluge Friese
Lehrte, daß die Götter droben
Das Gehirn aus Wolkennebeln
Und aus Wind das Herz gewoben.

Diethelm, rüste mir die Rosse!« –
Doch der Alte: »Weh und Waffen!
Ist aus Wind das Herz der andern,
Deines ist aus Sturm geschaffen!

Willst du fort? Wer kann dich halten?
Geh zu deinem Helwegnorden!
Ach, der Schweiger ist zum Schwätzer
Und der Mann zum Knaben worden!

Rollst du deine finstern Augen?
Geh und laß die Heimatstätte,
Machst du gleich das Nest der Falken
Bald zum wüsten Bärenbette.

Gib ihn preis, den Hort des Hauses,
Wertes Erbe, liebe Gaben,
Teures Gut, das deine Väter
Einst mit Blut erstritten haben!

O wie werden nach den Ringen,
Spangen, Krügen, Silberbecken,
Nach den Waffen und Geschmeiden
Sich die Frankenfinger strecken!

Nach dem Schwert, das einst dein Ahne
Feite mit des Lindwurms Geifer!
Nach den Rossen, schier dem Rosse
Wodans gleich, dem stolzen Läufer!

Laß dem Wildschwein deine Fluren,
Laß dem Hirsch die Wiesengründe,
Laß dem grauen Wolf die Herde
Und dem Hunger dein Gesinde!

Elmar, ist das Heerbannstreue?
Wird ein Falke zum Verräter?
Sind wir dein, so bist du unser:
Das ist Recht und Brauch der Väter!

Uns gehörst du, deinem Volke,
Das, an Faust und Fuß gebunden,
Rettung nicht, – die Götter zürnen! –
Heilung sucht für tiefe Wunden.

Doch du denkst nur an dich selber,
Vor dir selber willst du fliehen:
Deine Qual, durch alle Meere
Rastlos wird sie mit dir ziehen.

Mannesmut ist nicht zu brechen!
Weiber zogen, Kinder schmollen,
Zwing die Welt nach deinem Willen
Oder zwing dein eignes Wollen!

Elmar, eines ist dein Mögen,
Und ein andres ist dein Müssen;
Nicht dein Herz nach seinem Wunsche,
Nach der Pflicht frag dein Gewissen.

Elmar, du bist klug, von hundert
Hohen Dingen hast du Kenntnis,
Aber für das Allernächste
Hat auch Einfalt ihr Verständnis.

Komm, du bleibst; es rinnt der Falken
Treues Blut in deinen Adern:
Gib die Hand mir altem Murrkopf
Und dem Schmerz verzeih das Hadern!« –

Elmar sah dem Greis ins Auge
Lang und stumm mit tiefem Sinnen:
Hört' er eure Spindeln rauschen,
Ernste Schicksalsspinnerinnen?

Endlich sprach er: »Herbe Tränke
Müssen hartes Siechtum schweigen;
Dank dir, Diethelm: meinem Lande,
Meinen Leuten bin ich eigen.

Geh nun, Diethelm, sorg und schaffe,
Nimm den werten Gast in Pflege,
Daß es auf dem Habichtshofe
Lang ihm wohl gefallen möge!

Wilfried, komm! Wir sehn die Füllen,
Die im Eichenkamp dort springen,
Und beim Abendfeuer sollst du
Ragnars Sterbelied mir singen!«

Friedrich Wilhelm Weber (1813 - 1894)

 

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