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Die Prosa-Edda Online ~ Gylfaginning - Gylfis Visionen 1. König Gylfi beherrschte das Land, das nun Swithiod (Schweden) heißt. Von ihm wird gesagt, daß er einer fahrenden Frau zum Lohn der Ergötzung durch ihren Gesang ein Pflugland in seinem Reich gab, so groß als vier Ochsen pflügen könnten Tag und Nacht. Aber diese Frau war vom Asengeschlecht; ihr Name war Gefion. Sie nahm aus Jötunheim vier Ochsen, die sie mit einem Jötunen erzeugt hatte, und spannte sie vor den Pflug. Da ging der Pflug so mächtig und tief, daß sich das Land löste, und die Ochsen es westwärts ins Meer zogen, bis sie in einem Sund still stehen blieben. Da setzte Gefion das Land dahin, gab ihm Namen und nannte es Seelund (Seeland). Und da, wo das Land weggenommen worden war, entstand ein See, den man in Schweden nun Löger (Mälar) heißt. Und im Löger liegen die Buchten so wie die Vorgebirge in Seeland. So sagt Bragi der alte: Gefion nahm von Gylfi fröhlich, dem goldreichen, 2. König Gylfi war ein weiser Mann und zauberkundig. Er wunderte sich sehr, daß der Asen Volk so vielkundig sei, daß alles nach ihrem Willen ginge. Er dachte nach, ob dies von ihrer eigenen Kraft geschehen könne, oder ob da die Macht der Götter walte, welchen sie opferten. Er unternahm eine Reise nach Asgard, fuhr aber heimlich, indem er die Gestalt eines alten Mannes annahm und so sich hehlte. Aber die Weisheit der Asen, die in die Zukunft blicken, überwog und da sie um seine Fahrt wußten bevor er kam, empfingen sie ihn mit einem Blendwerk. Als er in die Burg kam, sah er eine hohe Halle, daß er kaum darüber wegsehen vermochte. Das Dach war mit goldenen Schildern belegt wie mit Schindeln. So sagt Thiodolf von Hwin, daß Walhall mit Schilden gedeckt sei: Das Dach deckten denkende Künstler, Am Tor der Halle sah Gylfi einen Mann, der mit Messern spielte, so daß sieben zugleich in der Luft waren. Dieser fragte ihn nach seinem Namen. Er nannte sich Gangleri und sagte, er komme aus unwegsamer Ferne und bitte um Nachtherberge; auch fragte er, wem die Halle gehöre. Jener antwortete, sie gehöre ihrem König: "Ich will dich zu ihm begleiten: da magst du ihn selbst um seinen Namen fragen. Alsbald ging der Mann ihm voraus in die Halle: er folgte ihm nach und dicht hinter seinen Fersen schlug die Türe zu. Da sah er viele Gemächer und eine Menge Volk: einige spielten, einige zechten, andere übten sich in den Waffen. Er sah sich um, und vieles von dem was er sah, schien ihn unglaublich. Da sprach er: Ehe du eingehst des Ausgangs halber Er sah drei Hochsitze, einen über dem andern, und auf jedem saß ein Mann. Er fragte, wie die Namen dieser Häuptlinge wären. Sein Führer antwortete: der in dem untersten Hochsitz sitze, sei ein König und heiße Har (der Hohe); der im nächsten heiße Jafnhar (der Ebenhohe), und der im obersten heiße Thridi (der Dritte). Da fragte Har den Ankömmling, was er zu werben komme, und fügte hinzu, Essen und Trinken stehe für ihn bereit wie für alle in Hars Halle. Er sagte aber, zuvor wolle er fragen, ob es da wohl einen weisen Mann gebe. Har sagte, er komme nicht heil heraus, wenn er nicht weiser sei. "Steh du, indem du fragst;
3. Da hub Gangleri an zu sprechen: Wer ist der höchste und älteste aller Götter?
Har sagte: Allvater heißt er in unserer Sprache und im alten Asgard hatte er
zwölf Namen. Der erste ist Allvater, der andere Herran oder Herian, der dritte
Nikar oder Hnikar, der vierte ist Nikuz oder Hnikud, der fünfte Fiölnir, der
sechste Oski, der siebente Omi, der achte Biflidi oder Biflindi, der neunte
Swidur, der zehnte Swidrir, der elfte Widrir, der zwölfte Jalg. Da fragte
Gangleri: Wo ist dieser Gott, und was vermag er? Oder was hat er Großes getan?
Har sagte: Er lebt durch alle Zeitalter und beherrscht sein ganzes Reich und
waltet aller Dinge, großer und kleiner. Da sprach Jafnhar: Er schuf Himmel und
Erde und die Luft und alles, was darin ist. Da sprach Thridi: Das ist das
wichtigste, daß er den Menschen schuf und gab ihm den Geist, der leben soll und
nie vergehen, wenn auch der Leib in der Erde fault oder zu Asche verbrannt wird.
Auch sollen alle Menschen leben, die wohlgesittet sind, und mit ihm sein an dem
Orte, der Gimle heißt oder Wingolf. Aber böse Menschen fahren zu Hel und danach
gen Niflheim; das ist unten in der neunten Welt. Da fragte Gangleri: Was tat er,
bevor Himmel und Erde geschaffen waren? Har antwortete: Da war er bei den
Hrimthursen (Frostriesen). Einst war das Alter, da alles nicht war, Da sprach Jafnhar: Manches Zeitalter vor der Erde Schöpfung war Niflheim entstanden; in dessen Mitte liegt der Brunnen, Hwergelmir genannt. Daraus entspringen die Flüsse mit Namen Swöl, Gunnthra, Fiorm, Fimbul, Thul, Slid und Hrid, Sylg und Ylg, Wid, Leiptr; Giöll ist der nächste beim Höllentor. Da sprach Thridi: Vorher aber war im Süden eine Welt, Muspel geheißen: die ist hell und heiß, so daß sie flammt und brennt und allen unzugänglich ist, die da nicht heimisch sind und keine Wohnung da haben. Surtur ist er geheißen, der an der Grenze des Landes sitzt und es beschützt: er hat ein flammendes Schwert und am Ende der Welt wird er kommen und heeren und alle Götter besiegen und die ganze Welt in Flammen verbrennen. So heißt es in der Wöluspa: Surt fährt von Süden mit flammendem Schwert, 5. Gangleri fragte: Was begab sich, bevor die Geschlechter wurden und Menschenvolk sich ausbreitete? Har antwortete: Als die Fluten, welche Eliwagar heißen, soweit von ihrem Ursprung kamen, daß der Giftstrom in ihnen erstarrte wie der Sinter, der aus dem Feuer fällt, ward er in Eis verwandelt. Und da dies Eis stille stand und stockte, da fiel der Dunst darüber, der von dem Gifte kam und gefror zu Eis, und so legte eine Eislage sich über die andere bis in Ginnungagap. Da sprach Jafnhar: Die Seite von Ginnungagap, welche nach Norden gerichtet ist, füllte sich an mit einem schweren Haufen Eis und Schnee und darin herrschte Sturm und Ungewitter; aber der südliche Teil von Ginnungagap war milde von den Feuerfunken, die aus Muspelheim herüberflogen. Da sprach Thridi: So wie die Kälte von Niflheim kam und alles Ungestüm, so war die Seite, die nach Muspelheim sah, warm und licht, und Ginnungagap dort so lau wie windlose Luft, und als die Glut auch dem Reif begegnete also daß er schmolz und sich in Tropfen auflöste, da erhielten die Tropfen Leben durch die Kraft dessen, der die Hitze sandte. Da entstand ein Menschengebild, das Ymir genannt ward; aber die Hrimthursen (Frostriesen) nennen ihn Örgelmir, und von ihm kommt das Geschlecht der Hrimthursen, wie es in der kleinen Wöluspa heißt: Von Widolf stammen die Walen alle,
Da fragte Gangleri: Wie wurden die Geschlechter von ihm ausgebreitet? Oder wie
geschah's, daß mehr geschaffen wurden? Oder hältst du ihn für einen Gott, von
dem du gesprochen hast? Da antwortete Har: Wir halten ihn mitnichten für einen
Gott: er war böse wie alle von seinem Geschlecht, die wir Hrimthursen nennen. Es
wird erzählt, als er schlief, fing er an zu schwitzen: da wuchs ihm unter seinem
linken Arm Mann und Weib und sein einer Fuß zeugte einen Sohn mit dem anderen.
Und von diesen kommt das Geschlecht der Hrimthursen; den alten Hrimthurs aber
nennen wir Ymir.
Im Anfang der Zeiten vor der Erde Schöpfung
Die Sonne wußte nicht wo sie Sitz hätte, Da sagte Gangleri: Das sind merkwürdige Dinge, die ich da höre; ein großes Gebäude ist das und sehr künstlich gebildet. Wie war die Erde beschaffen? Har antwortete: Sie ist außen kreisrund und rings umher liegt das tiefe Weltmeer. Und längs den Seeküsten jenseits gaben sie den Riesengeschlechtern Wohnplätze, und nach innen rund um die Erde machten sie eine Burg wider die Anfälle der Riesen, und zu dieser Burg verwendeten sie die Augenbrauen Ymirs des Riesen und nannten die Burg Midgard. Sie nahmen auch sein Gehirn und warfen es in die Luft und machten die Wolken daraus, wie hier gesagt ist: Aus Ymirs Fleisch ward die Erde geschaffen,
Seine Hausfrau heißt Frigg, Fiörgwins Tochter, und von ihrem Geschlecht ist der
Stamm entsprungen, den wir das Asengeschlecht nennen, welches das alte Asgard
bewohnte und die Reiche, die dazu gehören, und das ist das Geschlecht der
Götter. Und darum mag er Allvater heißen, weil er der Vater ist aller Götter und
Menschen und alles dessen, was er durch seine Kraft hervorgebracht hat. Jörd war
seine Tochter und seine Frau und von ihr gewann er einen erstgebornen Sohn: das
ist Asathor; ihm folgen Kraft und Stärke, daß er siegt über alles Lebendige. |