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~ Die Prosa-Edda Online ~
  In der Übersetzung von Karl Simrock

        Gylfaginning - Gylfis Visionen

34. Loki hatte noch andere Kinder. Angurboda hieß ein Riesenweib in Jötunheim: mit der zeugte Loki drei Kinder: das erste war der Fenriswolf, das andere Jörmungand, die Midgardschlange, das dritte war Hel. Als aber die Götter erfuhren, daß diese drei Geschwister in Jötunheim erzogen würden, und durch Weissagung erkannten, daß ihnen von diesen Geschwistern Verrat und großes Unheil bevorstehe, indem sie Böses von Mutter-, aber noch schlimmeres von Vaterswegen von ihnen erwarten zu müssen glaubten, schickte Allvater die Götter, daß sie diese Kinder nähmen und zu ihm brächten. Als sie aber zu ihm kamen, warf er die Schlange in die tiefe See, welche alle Länder umgibt, wo die Schlange zu solcher Größe erwuchs, daß sie mitten im Meer um alle Länder liegt und sich in den Schwanz beißt. Die Hel aber warf er hinab nach Niflheim und gab ihr Gewalt über neun Welten, daß sie denen Wohnungen anwiese, die zu ihr gesendet würden: solchen nämlich, die vor Alter oder an Krankheiten starben. Sie hat da eine große Wohnstätte; das Gehege umher ist außerordentlich hoch und mit mächtigen Gittern verwahrt. Ihr Saal heißt Elend, Hunger ihre Schüssel, Gier ihr Messer, Träg ihr Knecht, Langsam ihre Magd, Einsturz ihre Schwelle, ihr Bett Kümmernis und ihr Vorhang dräuendes Unheil. Sie ist halb schwarz, halb menschenfarbig, also kenntlich genug durch grimmiges, furchtbares Aussehen. Den Wolf erzogen die Götter bei sich und Tyr allein hatte den Mut, zu ihm zu gehen und ihm zu Essen zu geben. Und als die Götter sahen, wie sehr er jeden Tag wuchs, und alle Vorhersagen meldeten, daß er zu ihrem Verderben bestimmt sei, da faßten die Asen den Beschluß, eine sehr starke Fessel zu machen, welche sie Läding hießen. Die brachten sie dem Wolf und baten ihn, seine Kraft an der Kette zu versuchen. Der Wolf hielt das Band nicht für überstark und ließ sie damit machen, was sie wollten. Aber das erstemal, daß der Wolf sich streckte, brach das Band und er war frei von Läding. Darauf machten die Asen eine andere noch halbmal stärkere Fessel, die sie Droma nannten. Sie baten den Wolf, auch diese Kette zu versuchen, und sagten, er wurde seiner Kraft wegen sehr berühmt werden, wenn ein so starkes Geschmeide ihn nicht halten könnte. Der Wolf bedachte, daß dieses Band viel stärker sei, daß aber auch seine Kraft gewachsen sei, seit er das Band Läding gebrochen hatte; zugleich erwog er, daß er sich entschließen müsse, einige Gefahr zu bestehen, wenn er berühmt werden wolle. Er ließ sich also das Band anlegen. Als die Asen damit fertig waren, schüttelte sich der Wolf und reckte sich und schlug das Band an den Boden, so daß die Stücke weit davon flogen. So brach er sich los von Droma. Es wurde danach sprichwörtlich, sich aus Läding zu lösen, oder aus Droma zu befreien, wenn von einer schwierigen Sache die Rede ist. Danach fürchteten die Asen, daß sie den Wolf nicht wurden binden können. Da schickte Allvater den Jüngling Skirnir, der Freys Diener war, zu einigen Zwergen in Schwarzalfenheim, und ließ das Band Gleipnir verfertigen. Dieses war aus sechserlei Dingen gemacht: aus dem Schall des Katzentritts, dem Bart der Weiber, den Wurzeln der Berge, den Sehnen der Bären, der Stimme der Fische und dem Speichel der Vögel. Hast du auch diese Geschichte nie gehört, so magst du doch bald finden, daß sie wahr ist und wir dir nicht lügen, wenn da du wohl bemerkt hast, daß die Frauen keinen Bart, die Berge keine Wurzeln haben und der Katzentritt keinen Schall gibt, so magst du mir wohl glauben, daß das übrige ebenso wahr ist, was ich dir gesagt habe, wenn du auch von einigen dieser Dinge keine Erfahrung hast. Da sprach Gangleri: An den Dingen, die du zum Beispiel anführst, kann ich allerdings die Wahrheit erkennen; aber wie war das Band beschaffen? Har antwortete: Das kann ich dir wohl sagen: das Band war schlicht und weich wie ein Seidenband und so stark und fest, wie du sogleich hören sollst. Als das Band den Asen gebracht wurde, dankten sie dem Boten für das wohl verrichtete Geschäft und fuhren dann auf die Insel Lyngwi im See Amswartnir, riefen den Wolf herbei, zeigten ihm das Seidenband und baten ihn, es zu zerreißen. Sie sagten, es wäre wohl etwas stärker, als es nach seiner Dicke das Aussehen habe. Sie gaben es einer dem anderen und versuchten ihre Stärke daran, allein es riß nicht. Doch sagten sie, der Wolf werde es wohl zerreißen mögen. Der Wolf antwortete: Um dieses Band dünkt es mich so, als wenn ich wenig Ehre damit einlegen möchte, wenn ich auch eine so starke Fessel entzweireiße; falls es aber mit List und Betrug gemacht ist, obgleich es so schwach scheint, so kommt es nicht an meine Füße. Da sagten die Asen, er möge leicht ein dünnes Seidenband zerreißen, da er zuvor die schweren Eisenfesseln zerbrochen habe. Wenn du aber dieses Band nicht zerreißen kannst, so haben die Götter sich nicht vor dir zu fürchten und wir werden dich dann lösen. Der Wolf antwortete: Wenn ihr mich so fest bindet, daß ich mich selbst nicht lösen kann, so spottet ihr meiner, und es wird mir spät werden, Hilfe von euch zu erlangen: darum bin ich nicht gesonnen, mir dieses Band anlegen zu lassen. Ehe ihr mich aber der Feigheit zeiht, so lege einer von euch seine Hand in meinen Mund zum Unterpfand, daß es ohne Fälsch hergeht. Da sah ein Ase den andern an, die Gefahr däuchte sie doppelt groß und keiner wollte seine Hand herleihen, bis Tyr zuletzt seine Rechte darbot und sie dem Wolfe in den Mund legte. Und da der Wolf sich reckte, da erhärtete das Band, und je mehr er sich anstrengte, desto stärker ward es. Da lachten alle außer Tyr, denn er verlor seine Hand. Als die Asen sahen, daß der Wolf völlig gebunden sei, nahmen sie den Strick am Ende der Kette, der Gelgia hieß, und zogen ihn durch einen großen Felsen, Giöll genannt, und festigten den Felsen tief im Grund der Erde. Auch nahmen sie noch ein anderes Felsenstück, Thwiti genannt, das sie noch tiefer in die Erde versenkten und das ihnen als Widerhalt diente. Der Wolf riß den Rachen furchtbar auf, schnappte nach ihnen und wollte sie beißen; aber sie steckten ihm ein Schwert in den Gaumen, daß das Heft wider den Unterkiefer, und die Spitze gegen den Oberkiefer stand: damit ist ihm das Maul gesperrt. Er heult entsetzlich, und Geifer rinnt aus seinem Maul und wird zu dem Fluß, den man Wan nennt. Also liegt er bis zur Götterdämmerung. Da sprach Gangleri: Wahrlich, üble Kinder zeugte Loki, und dieses ganze Geschlecht ist furchtbar. Aber warum töteten die Asen den Wolf nicht, da sie doch Übles von ihm erwarteten? Har antwortete: die Asen halten ihre Heiligtümer und Freistätten so sehr in Ehren, daß sie mit dem Blut des Wolfs sie nicht beflecken wollten, obgleich Weissagungen verkündeten, daß er Odins Mörder werden solle.

35. Da fragte Gangleri: Welches sind die Asinnen? Har antwortete: Frigg ist die vornehmste: Ihr gehört der Palast, der Fensal heißt, und überaus schön ist. Eine andere heißt Saga, die Söckwabeck bewohnt, das auch eine große Halle ist. Die dritte ist Eir, die beste der Ärztinnen. Die vierte Gefion: sie ist unvermählt und ihr gehören alle, die unvermählt sterben. Fulla, die fünfte, ist auch Jungfrau, und trägt loses Haar und ein Goldband ums Haupt. Sie trägt Friggs Schmuckkästchen, wartet deren Fußbekleidung und nimmt Teil an ihrem heimlichen Rat. Freyja ist die vornehmste nach Frigg; sie ist einem Manne vermählt, der Odhr heißt. Deren Tochter heißt Hnoss: die ist so schön, daß nach ihrem Namen alles (hnossir) genannt wird, was schön und kostbar ist. Odhr zog fort auf ferne Wege, und Freyja weint ihm nach und ihre Zähren sind rotes Gold. Freyja hat viele Namen: die Ursache ist, daß sie sich oft andere Namen gab, als sie Odhr zu suchen zu unbekannten Völkern fuhr. Sie heißt Mardöll, Hörn, Gefn und Syr. Freyja besitzt den Halsschmuck, Brisingamen genannt. Sie heißt auch Wanadis (Wanengöttin). Die siebente heißt Siöfn; sie sucht die Gemüter der Menschen, der Männer wie der Frauen, zur Zärtlichkeit zu wenden, und nach ihrem Namen ist die Liebe Siafni genannt. Die achte, Lofn, ist den Anrufenden so mild und gütig, daß sie von Allvater oder Frigg Erlaubnis hat, Männer und Frauen zu verbinden, was auch sonst für Hindernis oder Schwierigkeit entgegenstehe. Daher ist nach ihrem Namen der Urlaub (lof) genannt, so wie alles was Menschen loben und preisen. Die neunte ist Wara; sie hört die Eide und Verträge, welche Männer und Frauen zusammen schließen und straft diejenigen, welche sie brechen. Wara ist weise und erforscht alles, so daß ihr nichts verborgen bleibt; daher kommt die Redensart, daß man eines Dinges gewahr werde, wenn man es in Erfahrung bringt. Die zehnte ist Syn, welche die Türen der Halle bewahrt und denen verschließt, welche nicht eingehen sollen; ihr ist auch der Schutz derer befohlen, die bei Gericht eine Sache in Abrede stellen, daher die Redensart: Abwehr (Syn) ist vorgeschoben, wenn man die Schuld leugnet. Die elfte ist Hlin, die solchen zum Schutz bestellt ist, welche Frigg vor einer Gefahr behüten will. Daher das Sprichwort: Wer sich in Nöten retten will, lehnt sich an (hieinir). Die zwölfte ist Snotra; sie ist weise und feinsinnig: nach ihr heißen alle snotr, sowohl Männer als Frauen, die klug und feinsinnig sind. Die dreizehnte ist Gna, welche Frigg in ihren Geschäften nach allen Weltteilen schickt. Sie hat ein Pferd, das durch Luft und Flut rennt und Hofhwarfnir heißt. Einst geschah es, daß sie von etlichen Wanen gesehen ward, als sie durch die Luft ritt. Da sprach einer:

Was fliegt da, was fährt da,
Was lenkt durch die Luft?

Sie antwortete:

Ich fliege nicht, ich fahre nicht,
Ich lenke durch die Luft
Auf Horhwarfnir, den Hamskerpir
Zeugte mit Gardrowa.

Nach Gnas Namen gebraucht man den Ausdruck gnäfa von allem Hochfahrenden. Auch Sol und Bil zählen zu den Asinnen. Ihres Ursprungs ist zuvor gedacht.

36. Noch andere sind, die in Walhall dienen, das Trinken bringen, das Tischzeug und die Älschalen verwahren sollen. In Grimnismal wird ihrer so gedacht:
 

Hrist und Mist sollen das Horn mir reichen;
Skeggiöld und Skögul,
Hlöck (Hianka) und Herflötur, Hild und Thrud,
Göll und Geirahöd,
Randgrid und Radgrid und Reginleif
Schenken den Einherjern Ael.

Diese heißen Walküren. Odin sendet sie zu jedem Kampf. Sie wählen die Fallenden und walten des Sieges. Gudr und Rota und die jüngste der Nomen, welche Skuld heißt, reiten beständig, den Wal zu kiesen und des Kampfes zu walten. Auch Jörd, die Mutter Thors, und Rind, Walis Mutter, zählen zu den Asinnen.


37. Gymir hieß ein Mann, und seine Frau Örboda; sie war Bergriesengeschlechtes. Deren Tochter ist Gerd, die schönste aller Frauen. Eines Tages war Freyr auf Hlidskialf gegangen und sah über alle Welten. Als er nach Norden blickte, sah er in einem Gehege ein großes und schönes Haus. Zu diesem Hause ging ein Mädchen, und als sie die Hände erhob, um die Ture zu öffnen, da leuchteten von ihren Händen Luft und Wasser, und alle Welten strahlten von ihr wieder. Und so rächte sich seine Vermessenheit an ihm, sich an diese heilige Stätte zu setzen, daß er harmvoll hinwegging. Und als er heim kam, sprach er nicht, auch mochte er weder schlafen noch trinken und niemand wagte es, das Wort an ihn zu richten. Da ließ Niörd den Skirnir, Freyrs Diener, zu sich rufen und bat ihn, zu Freyr zu gehen, mit ihm zu reden und zu fragen, warum er so zornig sei, daß er mit niemand reden wolle. Skirnir sagte, er wolle gehen, aber ungern, denn er versehe sich übler Antwort von ihm. Und als er zu Freyr kam, fragte er, warum Freyr so finster sei und mit niemand rede. Da antwortete Freyr und sagte, er habe ein schönes Weib gesehen und um ihretwillen sei er so harmvoll, daß er nicht länger leben möge, wenn er sie nicht haben solle: "Und nun sollst du fahren und für mich um sie bitten, und sie mit dir heimführen, ob ihr Vater wolle oder nicht, und will ich dir das wohl lohnen." Da antwortete Skirnir und sagte, er wolle die Botschaft werben, wenn ihm Freyr sein Schwert gebe. Das war ein so gutes Schwert, daß es von selbst focht. Und Freyr ließ es ihm daran nicht mangeln und gab ihm das Schwert. Da fuhr Skirnir und warb um das Mädchen für ihn und erhielt die Verheißung, nach neun (drei) Nächten wolle sie an den Ort kommen, der Barrey heiße, und mit Freyr Hochzeit halten. Und als Skirnir dem Freyr sagte, was er ausgerichtet habe, da sang er so:

Lang ist eine Nacht, länger sind zweie,
Wie mag ich dreie dauern?
Oft schien ein Monat mich minder lang
Als eine halbe Nacht des Harrens.

Das ist die Ursache, warum Freyr kein Schwert hatte, als er mit Beli stritt und ihn mit einem Hirschhorn erschlug. Da sprach Gangleri: Es ist sehr zu verwundern, daß ein solcher Häuptling, wie Freyr ist, sein Schwert hingab, ohne ein gleich gutes zu behalten. Ein erschrecklicher Schade war ihm das, als er mit jenem Beli kämpfte, und ich glaube gewiß, daß ihn da seiner Gabe gereute. Da antwortete Har: Es lag wenig daran, als er dem Beli begegnete, denn Freyr hätte ihn mit der Hand to ten können; aber es kann geschehen, daß es den Freyr übler dünkt, sein Schwert zu missen, wenn Muspels Söhne zu streiten kommen.


38. Da sprach Gangleri: Du sagtest, daß alle die Männer, die im Kampf gefallen sind von Anbeginn der Welt, zu Odin nach Walhall gekommen seien. Was hat er ihnen zum Unterhalt zu geben? Denn mich dünkt, das muß eine gewaltige Menge sein. Da antwortete Har: Es ist wahr, was du sagst: eine gewaltige Menge ist da, und noch viel mehr müssen ihrer werden; aber doch wird es scheinen, ihrer seien viel zu wenig, wenn der Wolf kommt. Und niemals ist die Volksmenge in Walhall so groß, daß ihr das Fleisch des Ebers nicht genügen möchte, der Sährimnir hieß. Jeglichen Tag wird er gesotten und ist am Abend wieder heil. Doch dünkt mich wahrscheinlich, daß dir wenige auf die Frage, die du jetzt gefragt hast, richtig Bescheid sagen werden. Andhrimnir heißt der Koch und der Kessel Eldhrimnir, wie hier gesagt ist:

Andhrimnir läßt in Eldhrimnir
Sährimnir sieden,
Das beste Fleisch; doch erfahren wenige,
Wieviel der Einherjer essen.

Da fragte Gangleri: Genießt Odin von derselben Speise wie die Einherjer? Har antwortete: Die Speise, die auf seinem Tische steht, gibt er seinen beiden Wölfen, welche Geri und Freki heißen, und keiner Kost bedarf er; Wein ist ihm Trank und Speise, wie es heißt:

Geri und Freki füttert der krieggewohnte
Herrliche Heervater,
Da nur von Wein der waffenhehre
Odin ewig lebt.

Zwei Raben sitzen auf seinen Schultern und sagen ihm ins Ohr alle Dinge, die sie hören und sehen; sie heißen Hugin und Munin. Er sendet sie morgens aus, alle Welten zu umfliegen, und mittags kehren sie zurück und so wird er mancher Dinge gewahr. Die Menschen nennen ihn darum Rabengott. Davon wird gesagt:

Hugin und Munin müssen jeden Tag
Über die Erde fliegen.
Ich fürchte, daß Hugin nicht nach Hause kehrt;
Doch sorg ich mehr um Munin.


39. Da fragte Gangleri: Was haben die Einherjer zu trinken, das ihnen so genügen mag als ihre Speise? Oder wird da Wasser getrunken?

Da antwortete Har: Wunderlich fragst du nun, als ob Allvater Könige, Jarle und andere herrliche Männer zu sich entbieten wurde und gäbe ihnen Wasser zu trinken. Ich weiß gewiß, daß manche nach Walhall kommen, die meinen sollten, einen Trunk Wassers teuer erkauft zu haben, wenn ihnen da nichts Besseres geboten wurde, nachdem sie Wunden und tödliche Schmerzen erduldet haben. Aber viel anderes kann ich dir davon berichten. Die Ziege, die Heidrun heißt, steht über Walhall und weidet an den Zweigen des vielberühmten Baumes, der Lärad genannt wird, und von ihrem Euter fließt so viel Met; daß sie täglich ein Gefäß füllt, das so groß ist, daß alle Einherjer davon vollauf zu trinken haben. Da sprach Gangleri: Das ist eine gewaltig treffliche Ziege und ein ausbündig guter Baum muß das sein, an dem sie weidet. Da versetzte Har: Noch merkwürdiger jedoch ist der Hirsch Eikthyrnir, der in Walhall steht und an den Zweigen desselben Baumes nagt; und von seinem Gehörn fallen so viel Tropfen herab, daß sie nach Hwergelmir fließen, und daraus folgende Ströme entspringen: Sid, Wid, Sekin, Ekin, Swöl, Gunnthro, Fiörm, Fimbulthul, Gipul, Göpul, Gömul, Geirwimul; diese umfließen der Asen Gebiet. Aber noch diese werden genannt: Thyn, Win, Thöll, Böll, Grad, Gunnthrain, Nyt, Naut, Nönn, Hrönn, Wina, Wegswin, Thiodnuma.


40. Da sprach Gangleri: Dies sind wunderliche Dinge, die du mir da sagst. Ein furchtbar großes Haus muß Walhall sein und ein großes Gedränge mag da oft an den Turen entstehen. Da versetzte Har: Warum fragst du nicht, wie viel Türen an Walhall seien und von welcher Größe? Wenn du das sagen hörst, wirst du gestehen, daß es wunderlich wäre, wenn nicht ein jeder aus und eingehen könnte wie er wollte. Auch das mag mit Wahrheit gesagt werden, daß es nicht schwerer ist, Platz darin zu finden als hineinzukommen. Hier magst zu hören, wie es in Grimnismal heißt:

Fünfhundert Türen und viermal zehn
Weiß ich in Walhall.
Achthundert Einherjer gehn aus je einer,
Wenn es dem Wolf zu wehren gilt.


41. Da sprach Gangleri: Eine gewaltige Menge ist in Walhall und ich muß wohl glauben, daß Odin ein gewaltiger Häuptling ist, wenn er so großem Heere gebietet. Aber was ist der Einherjer Kurzweil, wenn sie nicht zechen? Har antwortete: Jeden Morgen, wenn sie angekleidet sind, wappnen sie sich und gehen in den Hof und kämpfen und fällen einander. Das ist ihr Zeitvertreib. Und wenn es Zeit ist zum Mittagsmahl, reiten sie heim gen Walhall und setzen sich an den Trinktisch, wie hier gesagt ist:

Die Einherjer alle in Odins Saal
Streiten Tag für Tag;
Sie kiesen den Wal und reiten vom Kampf heim
Mit Asen Ael zu trinken;
Dann sitzen sie friedlich beisammen.

Aber wahr ist, was du sagtest, Odin ist ein großer Häuptling: dafür gibt es Beweise genug. So heißt es hier mit der Asen eigenen Worten:

Die Esche Yggdrasil ist der Bäume erster,
Skidbladnir der Schiffe,
Odin der Asen, aller Rosse, Sleipnir,
Bifröst der Brücken, der Skalden Bragi,
Habrok der Habichte, der Hunde Garm.


42. Da fragte Gangleri: Wem gehört das Roß Sleipnir? Oder was ist von ihm zu sagen? Har antwortete: Nicht magst du von Sleipnir Kunde haben, wenn du nicht weißt, bei welchem Anlaß er erzeugt wurde, und das wird dich wohl der Erzählung wert dünken.

Es geschah früh bei der ersten Niederlassung der Götter, als sie Midgard erschaffen und Walhall gebaut hatten, daß ein Baumeister kam und sich erbot, eine Burg zu bauen in drei Halbjahren, die den Göttern zum Schutz und Schirm wäre wider Bergriesen und Hrimthursen, wenn sie gleich über Midgard eindrängen. Aber er bedingte sich das zum Lohn, daß er Freyja haben sollte und dazu Sonne und Mond. Da traten die Asen zusammen und hielten Rat und gingen den Kauf ein mit dem Baumeister, daß er haben sollte was er anspräche, wenn er in einem Winter die Burg fertig brächte; wenn aber am ersten Sommertag noch irgend ein Ding an der Burg unvollendet wäre, so sollte er des Lohnes entraten; auch dürfte er von niemanden bei dem Werke Hilfe empfangen. Als sie ihm diese Bedingung sagten, da verlangte er von ihnen, daß sie ihm erlauben sollten, sich der Hilfe seines Pferdes Swadilfari zu bedienen, und Loki riet dazu, daß ihm dies zugesagt wurde. Da griff er am ersten Wintertag dazu, die Burg zu bauen und führte in der Nacht die Steine mit dem Pferde herbei. Die Asen dünkte es ein großes Wunder, wie gewaltige Felsen das Pferd herbeizog; und noch halbmal so viel Arbeit verrichtete das Pferd als der Baumeister. Der Kauf aber war mit vielen Zeugen und starken Eiden bekräftigt worden, denn ohne solchen Frieden hätten sich die Jötune bei den Asen nicht sicher geglaubt, wenn Thor heimkäme, der damals nach Osten gezogen war, Unholde zu schlagen. Als der Winter zu Ende ging, ward der Bau der Burg sehr beschleunigt, und schon war sie hoch und stark, daß ihr kein Angriff mehr schaden konnte. Und als noch drei Tage blieben bis zum Sommer, war es schon bis zum Burgtor gekommen. Da setzten sich die Götter auf ihre Richterstühle und hielten Rat und einer fragte den andern, wer dazu geraten hätte, Freyja nach Jötunheim zu vergeben und Luft und Himmel so zu verderben, daß Sonne und Mond hinweggenommen und den Jötunen gegeben werden sollten. Da kamen sie alle überein, daß der dazu geraten haben werde, der zu allem Übeln rate: Loki, Laufeyjas Sohn, und sagten, er solle eines Übeln Todes sein, wenn er nicht Rat fände, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen. Und als sie dem Loki zusetzten, ward er bange vor ihnen und schwur Eide, er wolle es so einrichten, daß der Baumeister um seinen Lohn käme, was es ihm auch kosten möchte. Und denselben Abend, als der Baumeister nach Steinen ausfuhr mit seinem Hengste Swadilfari, da lief eine Stute aus dem Wald dem Hengst entgegen und wieherte ihm zu. Und als der Hengst merkte, was Rosses das war, da ward er wild, zerriß die Stricke und lief der Mähre nach, und die Mähre voran zum Walde und der Baumeister dem Hengste nach, ihn zu fangen. Und diese Rosse liefen die ganze Nacht umher, und diese Nacht ward das Werk versäumt und am Tage darauf wurde dann nicht gearbeitet, wie sonst geschehen war. Und als der Meister sah, daß das Werk nicht zu Ende kommen möge, da geriet er in Riesenzorn. Die Asen aber, die nun für gewiß erkannten, daß es ein Bergriese war, der zu ihnen gekommen war, achteten ihre Eide nicht mehr und riefen zu Thor, und im Augenblick kam er und hub auch gleich seinen Hammer Miölnir und bezahlte mit ihm den Baulohn, nicht mit Sonne und Mond; vielmehr verwehrte er ihm das Bauen auch in Jötunheim, denn mit dem ersten Streich zerschmetterte er ihm den Hirnschädel in kleine Stücke und sandte ihn hinab gen Niflhel. Loki selbst war als Stute dem Swadilfari begegnet und einige Zeit nachher gebar er ein Füllen, das war grau und hatte acht Füße, und dies ist der Pferde bestes bei Göttern und Menschen. So heißt es in der Wöluspa:

Da gingen die Berater zu den Richterstühlen,
Hochheilge Götter hielten Rat,
Wer mit Frevel hätte die Luft erfüllt,
Oder dem Riesenvolk Odhurs Braut gegeben.
Da schwanden die Eide, Wort und Schwüre,
Alle festen Verträge jüngst trefflich erdacht.
Das schuf von Zorn bezwungen Thor;
Er säumt selten, wenn er solches vernimmt.

 

Die Snorra-/Jüngere Edda, 1851 durch Karl Simrock übersetzt.

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